Ein erholsamer Schlaf ist lebensnotwendig. In unserer hektischen Leistungs- und 24-Stunden-Gesellschaft leidet er aber oft oder wird vernachlässigt. Mit Folgen: Je-der dritte Erwachsene in der Schweiz hat Schlafprobleme. Fakt ist: Mitarbeitende mit Schlafdefiziten verunfallen häufiger, sind öfter krank und leisten weniger. Besonders belastet sind Arbeitnehmende, die Schicht- und Nachtarbeit leisten.
Wer viel arbeitet und wenig schläft, gilt als Held. So könnte man meinen,
wenn man immer wieder Prominente aus Politik und Wirtschaft prahlen hört,
dass ihnen drei bis fünf Stunden Schlaf reichen würden. Seitens der
Schlafforschung ist erwiesen: Das ist auf Dauer zu wenig. Wer übermüdet
unterwegs ist, gefährdet seine Sicherheit, Gesundheit und trägt zum
volkswirtschaftlichen Produktivitätsverlust bei. Unternehmen müssten demnach
ein grosses Interesse an ausgeschlafenen Mitarbeitenden haben.
Was die Sicherheit betrifft, liefert eine Untersuchung der Suva (Uehli, 2015)
dramatische Erkenntnisse: Menschen mit schlechter Schlafqualität oder zu
wenig Schlaf haben ein fast doppelt so hohes Risiko für Berufs- und
Freizeitunfälle. Bei jedem fünften Berufsunfall sind Schlafprobleme im
Spiel. Es ist davon auszugehen, dass sich deswegen ein ebenso grosser Anteil
an Freizeitunfällen ereignet. Die verursachten Kosten liegen jährlich bei
283 Mio. Franken für Berufsunfälle und 512 Mio. Franken für Freizeitunfälle.
Dabei sind Verkehrsunfälle nicht eingerechnet. Wer nämlich übermüdet lenkt,
setzt sich einem 7 bis 8fach höheren Unfallrisiko aus. Schlafmangel
beeinträchtigt unsere Wahrnehmung, Gefahreneinschätzung, Reaktionszeit,
motorischen Fähigkeiten und unser Risikoverhalten genauso wie Alkohol. So
wirken bereits 17 Stunden ohne Schlaf wie 0,5 Promille Alkohol im Blut, 24
Stunden bereits wie 1,0 Promille!
Bei beabsichtigtem Schlafentzug liegt der Grund für die Müdigkeit nahe. Viele Menschen mit Schlafproblemen wissen aber nicht, warum ihr Schlaf gestört ist, was nebst der eigentlichen Ursache zusätzlich Stress auslösen kann. Psychische Ursachen führen die «Hitliste» mit Abstand an: Zeit- und Leistungsdruck, ständige Erreichbarkeit, Verwässerung von Beruf und Freizeit, Konflikte, Reizüberflutung und die Abhängigkeit von digitalen Medien, um nur ein paar mögliche Störfaktoren zu nennen. Bei rund 20 Prozent der Schlafprobleme bedarf es eine medizinische Untersuchung und gegebenenfalls eine Therapie (z.B. Schlafapnoe = Atemstillstand). Die Liste möglicher gesundheitlicher Folgen von Schlafproblemen ist lange: ein geschwächtes Immunsystem, Krankheiten körperlicher und psychischer Art wie Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Depression, Übergewicht, Lust- und Energielosigkeit, ein beschleunigter Alterungsprozess und eine verkürzte Lebenserwartung usw. Die gute Botschaft: 80 Prozent aller Schlafprobleme können durch Befolgen einfacher Schlaftipps (siehe Kasten) vermindert oder gelöst werden.
In der Schweiz arbeiten ca. 20 Prozent der Erwerbstätigen in Schichten, die Mehrheit davon auch in der Nacht. Dabei gerät, insbesondere bei wechselnden Schichten, der biologisch gesteuerte Wach-Schlaf-Rhythmus durcheinander. Betroffene müssen fortwährend zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten und ruhen. Das stellt viele Schicht- und Nachtarbeitende auf Dauer vor grosse Herausforderungen. Sie leben in einer Art permanentem Jetlag. Es überrascht daher nicht, dass viele Schicht- und Nachtarbeitende deutlich häufiger als Tagarbeitende unter Ein- und Durchschlafstörungen leiden, erschöpft und übermüdet sind – auch an arbeitsfreien Tagen. Dieser Umstand wirkt sich zusätzlich beeinträchtigend auf die geistige und körperliche Leistungskurve aus. Fehler, (Beinahe-)Unfälle und Verletzungen ereignen sich häufiger. Für viele ist auch die Vereinbarkeit von Familie, Freunden und Freizeit schwierig, da sie zeitversetzt arbeiten und schlafen.
Wie gut jemand Früh-, Spät- oder Nachtschicht erträgt, ist stark auch von der
Ausprägung des Chronotyps abhängig. Dieser ist im Erbgut programmiert.
Lerchen (Morgentyp) stehen morgens sehr früh auf und gehen abends frühzeitig
zu Bett. Bei der Eule (Abendtyp) ist es gerade umgekehrt: Spät ins Bett,
morgens länger schlafen. Idealerweise müssten die Mitarbeitenden bereits im
Rekrutierungsprozess auf ihren Chronotyp angesprochen und Folge dessen
dauerhaft in Schichten eingeteilt werden, die ihrer biologischen Veranlagung
entsprechen. Leider wird dem Chronotyp in den meisten Unternehmen zu wenig
Beachtung geschenkt – mit fatalen Folgen für Unternehmen und die betroffenen
Mitarbeitenden: Mehr Absenzen aufgrund von Krankheit und Unfall, weniger
Produktivität, hohe Fehlerquote, Fluktuation, usw.
Alle Arbeitgebenden wünschen sich sicherheitsbewusste, gesunde und leistungsfähige Mitarbeitende. Das setzt mitunter ausgeruhte Mitarbeitende voraus. Es ist deshalb ratsam, in ihre Gesundheit zu investieren, sie für Themen rund um den Schlaf zu sensibilisieren und für Arbeitsbedingungen zu sorgen, die nicht zu schlaflosen Nächten führen.
Zahlreiche grosse Unternehmen wie Google und Co., aber auch KMUs haben die Wichtigkeit erholter Mitarbeitenden erkannt. Sie stellen zum Beispiel Ruheräume zur Verfügung, fördern explizit Powernapping (Kurzschläfchen) oder klären ihre Arbeitnehmenden über Schlafthemen auf. Klar: Die Umsetzung liegt dann in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen.
Ausreichend und gesunder Schlaf ist aber nicht nur aus Sicht der
Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes, sondern auch aus
volkswirtschaftlicher Perspektive wichtig. Es bleibt zu hoffen, dass
Unternehmen künftig dem Thema Schlaf mehr Aufmerksamkeit schenken und in den
Wettbewerbsvorteil «ausgeruhte Mitarbeitende» investieren.
Dieser Artikel erschien in ungekürzter Fassung erstmals im April 2019 im EKAS Mitteilungsblatt Nr. 88. Autor: Reto Etterli, Arbeitspsychologe, Präventionsangebote Suva, Luzern.