Psychische Belastungen am Arbeitsplatz systematisch ermitteln

Ungünstige Arbeitsbedingungen können gesundheitliche Beschwerden verursachen. Darunter leiden nicht nur die Betroffenen. Ausfälle durch Erkrankung und eine reduzierte Leistungsfähigkeit in der Zeit davor können auch einem Betrieb schaden. Für den Arbeitgeber lohnt es sich deshalb, die Belastungssituation im Betrieb zu überprüfen und bei Bedarf frühzeitig zu beheben. Besonders das Ermitteln von psychischen Belastungen und das Ergreifen geeigneter Massnahmen verdient Aufmerksamkeit.

Bei der Ermittlung psychischer Belastungen geht es darum, sich ein Bild der spezifischen Arbeitsbedingungen in einem Betrieb und deren Einfluss auf die Psyche der Mitarbeitenden zu verschaffen. Aufgrund arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse weiss man, dass bestimmte Arbeitssituationen die Leistung, die Zufriedenheit und die Motivation am Arbeitsplatz verringern und die Gesundheit des Einzelnen beeinträchtigen können. Negative Einwirkungen können entstehen, wenn die Arbeitsaufgaben, die Arbeitsorganisation und die sozialen Verhältnisse ungünstig oder mangelhaft sind. Beispiele dafür sind übertriebener Leistungsdruck, ein geringer Entscheidungsspielraum, Zeitmangel, fehlende Abwechslung, Überbelastung oder Unterforderung, Arbeitsplatzunsicherheit, mangelhafte Kommunikation oder fehlende Unterstützung durch Kollegen und Kolleginnen sowie Vorgesetzte sein.
 

Erfolgsfaktoren für die Prozessgestaltung

Für die erfolgreiche Zielerreichung ist es wichtig, den gesamten Prozess von der Ermittlung psychischer Belastungen über Massnahmen zur Entlastung bis zur Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen von Anfang an zu planen.
 

Erhebung planen und vorbereiten

Damit alle im Betrieb wissen, worum es geht, ist eine gute Vorbereitung und Projektorganisation notwendig. Dies stellt sicher, dass der Prozess von der Spitze bis zur Basis unterstützt wird. Wichtige Aspekte dabei sind:

  • Einbezug aller Führungsebenen und relevanter Fachpersonen in das Projektteam.
  • Sicherstellen der erforderlichen Fachkompetenz bezüglich psychosozialer Risiken.
  • Anknüpfen an und Integrieren in vorhandene Informationen und Strukturen: Welche Informationsquellen und Strukturen können genutzt werden? Welche Synergien können unterstützend wirken?
  • Sicherstellen der personellen, zeitlichen und fachlichen Ressourcen.
  • Partizipation der Betroffenen, um Informationen darüber zu gewinnen, wie die Arbeitsbedingungen wahrgenommen werden.
  • Fortlaufende Kommunikation über Ziel, aktuellen Stand und weiteres Vorgehen des Projekts.


Partizipation der Mitarbeitenden

Psychische Belastungen lassen sich nicht mit den gewohnten Methoden der Arbeitssicherheit beschreiben. Nicht alle Belastungsfaktoren sind sichtbar und können darum nicht von Aussenstehen­den eingeschätzt werden. Die Einschätzung der Belastungsfaktoren durch die betroffenen Mitarbeitenden ist für die Auswirkungen auf die Gesundheit bedeutsamer als eine objektive Messung. Denn die tatsächliche Gefährdung resultiert aus einem Zusammenspiel zwischen äusseren Belastungen und individueller Disposition. Dieses Zusammenwirken von individuellen Voraussetzungen und äusseren Faktoren kennt man auch bei anderen Gefährdungen, wie z. B. dem Heben und Tragen von Lasten.

Psychosoziale Belastungen im Büro

Psychosoziale Belastungen hängen oftmals mit den Arbeitsbedingungen zusammen. Erfahren Sie in der EKAS Box im Kapitel «Arbeitsorganisation» worauf es dabei ankommt.

Verschiedene Wege, psychische Belastungen zu erheben

Psychische Belastungen können durch Beobachtungen und Befragungen ermittelt werden. Es gibt zahlreiche erprobte und standardisierte Erhebungsinstrumente für diesen Zweck. Ein schrittweises Vorgehen, eine Anpassung an die betriebliche Situation und eine Kombination von Methoden können sinnvoll sein.

1. Beobachtung von aussen

Mit einfachen Beobachtungsleitfäden können Führungskräfte oder Fachperso­nen verschiedene Arbeitstätigkeiten be­obachten und sich anhand von vorgegebenen Kriterienein Bild von der Belastungssituation machen. Diese erste Orientierung liefert Informationen und bestimmt das weitere Vorgehen. Eine grobe Einschätzung der Stresssituation im Unternehmen ermöglicht z. B. die Checkliste «Stress» der Suva. Wenn es im Betrieb Anzeichen für Fehlbelastungen gibt, ist eine systematische Ermittlung sinnvoll und erforderlich.

2. Schriftliche Befragung

Bei einer schriftlichen Befragung kann in kurzer Zeit eine grosse Anzahl von Personen befragt werden. Sie liefert mit relativ wenig Aufwand eine gute Übersicht und ermöglicht direkte Vergleiche. So kann ermittelt werden, wo und in welchen Bereichen oder bei welchen Personengruppen Belastungen gehäuft auftreten. Eine schriftliche Befragung beleuchtet Probleme und ermöglicht die Fokussierung auf bestimmte Bereiche. Wenn die Anonymität der Befragung glaubhaft zugesichert ist, ist die Chance, ehrliche Antworten zu erhalten, relativ gross. Dies ist bei einer Gruppengrösse ab ca. 10 Personen möglich, wenn auf das Erheben persönlicher Daten verzichtet und die Auswertung von einer aussenstehenden Person vorgenommen wird.

Der schriftlichen Befragung sind aber auch Grenzen gesetzt. Der Betrieb erhält dadurch nur wenig Informationen über die konkrete Beschaffenheit vorliegender Belastungen. So zeigt das Ergebnis zwar, dass es Probleme bezüglich Information und Mitsprache gibt. Es erläutert jedoch nicht, in welcher Situation welche Informationen fehlen oder wo und weshalb die mangelnde Mitsprache belastend ist. Meist liegt noch zu wenig Information vor, um passende Massnahmen abzuleiten.

Die fehlenden Informationen können mit Hilfe von strukturierten Gruppengesprächen gewonnen werden. Ziel ist es, gemeinsam die konkreten Ursachen, die hinter einem Ergebnis stehen, herauszuarbeiten. Die Konkretisierung ist erforderlich, weil passgenaue Massnahmen zur Reduktion der festgestellten Fehlbelastungen nur mit Kenntnis der spezifischen Bedingungen, die dazu führen, möglich sind.

In vielen Betrieben ist eine anonyme schriftliche Befragung wegen Sprachbarrieren oder wegen einer zu geringen Anzahl von Mitarbeitenden nicht möglich. In diesem Fall ist es sinnvoll, strukturierte und moderierte Gruppengespräche durchzuführen.

3. Strukturierte Gruppengespräche  

Moderierte Gruppeninterviews zur Ermittlung von psychischen Belastungen haben einen standardisierten Ablauf. Dies gewährleistet, dass die Erhebungsthemen und -fragen bei allen Gruppen identisch sind und ermöglicht so den Vergleich der Ergebnisse verschiedener Gruppen.

Die Gesprächsleitung sollte Moderationskompetenz mitbringen. Diese Erfahrung stellt sicher, dass in einer festgelegten Zeit die definierten Inhalte systematisch erfragt und alle Meinungen gleichermassen aufgenommen werden können. Die Qualität der erhaltenen Informationen hängt also auch von der Gesprächsleitung ab. Eine aussenstehende Fachperson verfügt über ein grosses Fachwissen und zeichnet sich durch eine gewisse professionelle Distanz und Unvoreingenommenheit aus. Meist haben die Mitarbeitenden gegenüber einer aussenstehenden und neutralen Person weniger Angst vor negativen Folgen bei kritischen Aussagen und antworten darum wahrheitsgetreu. Als Verfahren für solche Gruppengespräche bietet sich z. B. die ABS-Gruppe an (SECO-Broschüre: «Psychische Belastungen. Checklisten für den Einstieg»).
 

Massnahmen ableiten

Je genauer die Belastungen erfasst und ihre Ursachen bekannt sind, desto besser können passende Massnahmen ergriffen werden. Die Massnahmen müssen auf die spezifische Situation im Unternehmen abgestimmt werden und sollen möglichst an der Quelle des Problems ansetzen.

Mitarbeitende und Führungskräfte sowie Fachpersonen aus dem Personalwesen, der Arbeitssicherheit und ähnlicher Stellen, die davon betroffen sein können, müssen in die Lösungssuche und -realisierung einbezogen werden.

Weiterführende Informationen zur Prozessgestaltung und zu den Verfahren sind auf der Website www.stressnostress.ch und in der SECO-Broschüre «Psychische Belastungen. Checklisten für den Einstieg» sowie auf der Website www.psyatwork.ch zu finden.

 


Dieser Artikel wurde in ungekürzter Fassung erstmals im EKAS Mitteilungsblatt Nr. 83 im November 2016 publiziert. Autorinnen: Stephanie Lauterburg und Margot Vanis, Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, SECO Arbeitsbedingungen, Grundlagen Arbeit und Gesundheit, Bern.

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